Die Kult- und Geisterhäuser Papua-Neuguineas von Michael Hirschbichlers Buch Mythische Konstruktionen existieren nicht mehr. Doch scheinen sie, seit sie durch Weltkriege, Kolonisierung und Missionierung zum Verschwinden gebracht wurden, sich selbst in veritable Geister verwandelt zu haben.
Von ihnen geht eine einzigartige Faszination aus. Als expressive architektonische Gebilde, in denen ein ganzer kultureller Kosmos verdichtet war, zählen sie zu den herausragenden Leistungen einer globalen Kunst- und Architekturgeschichte. Dennoch sind sie bisher nur sehr wenig bekannt und kaum erforscht. Während sie in Neuguinea durch ihre Abwesenheit als Leerstellen sozialer Gemeinschaften und kultureller Identifikation hervortreten, sind sie in aktuellen Debatten über Kolonialismus und koloniale Sammlungspraktiken umso gegenwärtiger. So waren die deutsche Kolonialgeschichte Neuguineas und die Taten der Kolonialherren fast schon aus dem westlichen Gedächtnis verschwunden. Doch entbrannte rund um die Eröffnung des Humboldt- Forums in Berlin eine notwendige Debatte über Raubkunst und Provenienz von Ausstellungsstücken. Die Geister- und Kulthäuser Papua-Neuguineas stehen in diesem Kontext. Auch wenn sie als gegenständliche Gebilde nicht mehr vorhanden sind, ist ihr Verschwinden ein Resultat der Kolonial- und Missionsgeschichte.
Auf der Grundlage intensiver Forschungstätigkeit vor Ort untersucht Michael Hirschbichler die Kult- und Geisterhäuser in ihrem weitreichenden kulturellen, religiösen und sozialen Zusammenhang. In Zeichnungen, Fotografien und Texten legt er mit dem Buch Mythische Konstruktionen eine bisher fehlende große Studie zum Thema vor. Dabei analysiert Hirschbichler mit einem multiperspektivischen Ansatz aus Kultur- und Sozialwissenschaften sowie Bau-, Architektur- und Raumforschung detailliert den durch die Geisterhäuser aufgespannten kulturellen Kosmos. Für verschiedene Kulturen Papua-Neuguineas liefert er damit einen zentralen Beitrag zu ihrer Architekturethnologie.
Zudem entwickelt er in transkultureller Hinsicht eine facettenreiche Theorie mythischer Konstruktionen, die aus westlich-modernen Verständniswelten hinausführt und eine Fülle von Konzepten zum Verständnis und zur Gestaltung einer mehr-als-menschlichen Welt bereithält. Sie ist heute von größter Aktualität. Das Buch richtet sich nämlich nicht nur auf die Vergangenheit und Geschichte, sondern gleichermaßen auch auf die Gegenwart und Zukunft. Entlang von Themenfeldern wie traditionelle außereuropäische Baupraxis, Koexistenz, spirituelle Ökologie, kulturelles Gedächtnis und materielle Mythographie leistet Hirschbichler einen wichtigen Beitrag zur Anthropozän-Debatte.